EU-Sanktionen: Wann führt die Beteiligung eines Gesellschafters zum Einfrieren von Firmenvermögen? – Erkenntnisse aus dem Fall EM System UAB

Am 3. Juli 2025 gab Generalanwältin Tamara Ćapeta ihre Stellungnahme in dem bedeutenden Fall C-84/24 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ab. Die Kernfrage: Reicht es für das Einfrieren der Bankkonten eines Unternehmens aus, dass eine sanktionierte Person genau 50% der Anteile hält?

Hintergrund: Belarus-Sanktionen und die EM System UAB Situation

Nachdem ein belarussischer Staatsangehöriger (A.V.S.) in Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 aufgeführt wurde, froren zwei litauische Banken die Konten der EM System UAB ein; eines litauischen Unternehmens, an dem A.V.S. eine 50%-ige Beteiligung hielt. Die EM System UAB selbst war nicht im Sanktionsregime gelistet. Eine der Banken ersuchte das litauische Außenministerium um Klärung der Rechtmäßigkeit des Einfrierens der Unternehmenskonten.

EM System UAB focht diese Maßnahmen an mit der Begründung, es sei eine eigenständige juristische Person; daher sollten sich Sanktionen gegen einen Gesellschafter nicht automatisch auf das Firmenvermögen erstrecken.

Generalanwältin Tamara Ćapeta: Kein automatisches Einfrieren von Vermögenswerten, aber eine weite Auslegung der “Kontrolle”

Die Generalanwältin stellte klar, dass es kein automatisches Einfrieren von Firmenvermögen gibt, nur weil eine sanktionierte Person Anteile hält. Das entscheidende Kriterium ist, ob diese Person tatsächlich das Unternehmen und seine Ressourcen “kontrolliert”. Eine 50%-Beteiligung schafft eine widerlegbare Vermutung der Kontrolle, da ein solcher Anteil typischerweise erheblichen Einfluss auf Unternehmensentscheidungen ermöglicht.

Die Generalanwältin betonte, dass “Kontrolle” im Kontext der EU-Sanktionen viel weiter ausgelegt werden muss als im traditionellen Gesellschaftsrecht. Es reicht nicht aus, sich nur auf rechtliche Formalitäten zu konzentrieren. Die Beurteilung muss berücksichtigen, ob die gelistete Person direkt oder indirekt Einfluss auf die Verwendung der Gelder und Ressourcen des Unternehmens nehmen kann.

Beurteilung: Weiter Kontrollbegriff, keine automatische Schuld

Die Generalanwältin befand, dass die Banken angemessen handelten: Sie froren die Konten vorläufig ein und führten dann weitere Prüfungen hinsichtlich der tatsächlichen Kontrolle durch.

Indikatoren, die die Kontrollvermutung widerlegen können:
  • klare Trennung zwischen Firmen- und Aktionärsvermögen;
  • beschränkter Zugang zu Bankkonten für andere Personen als die sanktionierte Person;
  • Nachweis einer unabhängigen Geschäftsführung.

Allerdings ist kein einzelner Faktor entscheidend; Gerichte müssen alle relevanten Fakten im Einzelfall berücksichtigen.

Rechtliche Sicherungen und Verfahrensrechte

Die Generalanwältin betonte auch, dass die automatische Ausweitung von Vermögenssperren auf Unternehmen ohne deren Listung grundrechtliche Bedenken aufwirft. Jedes Unternehmen hat Anspruch auf rechtlichen Schutz und darauf, vor solchen Maßnahmen gehört zu werden. Eine zu weite Anwendung würde diese Garantien untergraben.

Fazit und praktische Auswirkungen

Die Stellungnahme der Generalanwältin liefert wichtige Orientierung für Banken und Unternehmen im Umgang mit EU-Sanktionen:

  • Eine 50%-Beteiligung einer gelisteten Person führt zu einer Kontrollvermutung und rechtfertigt vorläufiges Einfrieren von Vermögenswerten;
  • Diese Vermutung kann durch Beweise widerlegt werden;
  • Letztlich müssen nationale Gerichte unter Berücksichtigung aller Umstände entscheiden.

Die endgültige Entscheidung des EuGH steht noch aus, aber den Schlussanträgen der Generalanwälte wird oft gefolgt. In der Praxis bedeutet dies erhöhte Sorgfaltspflichten für Banken und Unternehmen sowie die Notwendigkeit für Firmen, ihre Unabhängigkeit im Streitfall proaktiv nachzuweisen.

Die Informationen in diesem Artikel sind allgemeiner Natur und dienen ausschließlich zu Informationszwecken. Wenn Sie Rechtsberatung für Ihre individuelle Situation benötigen, sollten Sie sich an einen qualifizierten Anwalt wenden.
mehr erfahren
  • EuGH ¦ Rechtssache C-84/24 ¦ Link
  • EUR-Lex ¦ Schlussanträge der Generalanwältin Ćapeta vom 3. Juli 2025 ¦ Link